FAMILY BUSINESS

PIRKO JULIA SCHRÖDER, THOMAS MAY, 
JOSEPHINE SCHRÖDER, LUZIE SCHRÖDER

Vernissage: 1. JULI,  18 Uhr
in der Modulgalerie Nürnberg

Eröffnungsrede: Andreas Radlmaier

kuratiert von Kasia Prusik-Lutz im Rahmen des Symposion Urbanum Nürnberg

FAMILY BUSINESS.
MEHRGENERATIONENGEWÄCHSHAUS.

Eine in der Struktur der städtischen Architektur versteckte Galerie präsentiert ein Künstlerpaar, das sich in seinem natürlichen künstlerischen Lebensumfeld immer wieder tarnt.

CAMOUFLAGE.
Pirko Julia Schröder versucht nicht aufzufallen. Auch ihre Fotografien verschmelzen schnell mit ihrer Umgebung und fügen sich in deren Harmonie ein. Illusionistische Verfahren überraschen die Betrachter.
Thomas May untersucht die Beziehung zwischen Gras und Mensch. Dabei ist er fast mit seinem eigenen Grün verwachsen und zu seinem eigenen Werk geworden.

Der größte Teil der Installation dieser Familienpräsentation ist eine Fotografie ihrer gemeinsamen Schöpfung – ein wahres Tarnungsmeisterwerk, ein Wimmelbild.
Was verheimlicht dieses Künstlerpaar?
Wer sind diese Meister der Schöpfung und der Tarnung wirklich? Schaffen mehrere Jahre Eheerfahrung eine eigene Realität? Stehen Familienunternehmen manchmal am Rande der Legalität? Beinhalten sie auch immer eine Fortführung von Tradition? Hinter den verschlossenen Türen von 47 Schließfächern werden wir Hinweise finden…

 

KÜNSTLERPAAR.
Wie ist es, zusammen zu leben und zu arbeiten? Ist das überhaupt möglich?
Wer ist der Chef, wer der Partner und wer der Käufer in dieser Beziehung? Kann ein Ehestreit eine Inspiration für die Kunst sein und kann Kunst eine Beziehung retten oder zerstören?
Beruf: Ehemann und Beruf: Ehefrau, Familienstand: Künstler.

Pirko Julia Schöder und Thomas May sind autonome Künstler und bilden privat eine Familie. Eine mit Kindern, ein gemeinsames Haus und jetzt auch ein gemeinsames Studio.
Sie unternehmen erneut den Versuch, eine gemeinsame Ausstellung zu eröffnen, vielleicht sogar ein gemeinsames Werk zu realisieren.
Geht es bei der Professionalität im Beruf um Kaltblütigkeit und Berechnung? Wie kann man unter solchen Bedingungen Kunst schaffen? Nun, wir werden sehen…

Pirko Julia Schröder (*1970 in Fürstenfeldbruck) lebt und arbeitet seit ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Sie ist der Fotografie verfallen, mit der sie im Raum arbeitet – von ganz kleinen fotografischen Eingriffen in unsere Alltagswahrnehmung bis hin zu raumfüllenden Foto-Installationen. Auch Video- und Soundinstallationen sind Teil ihrer Werken. Von internationalen Aufenthalten (u.a. China, Japan, Finnland, Polen) transferiert sie Ein- und Ausblicke von hier nach dort. Und auch andersherum.

Thomas May (*1971 in Amberg) ist der Gründer des Internationalen Grashalminstituts, dessen Direktor er ist. Thomas May widmet sich in seinen Arbeiten den vielfältigen Facetten der Kulturpflanze Gras. Er installiert, modelliert, initiiert und inszeniert – mal mit Gras als künstlerischem Material, mal fächer-, sparten- und auch gattungsübergreifend mit ganzen Veranstaltungsreihen mit menschlichen und tierischen Experten und Experimenten zum Thema. Auch er studierte an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, lebt und arbeitet in Nürnberg und auch international.

Josephine Schröder (*1996) hat in Weimar Visuelle Kommunikation studiert und kommt gerne nach Nürnberg zurück, um gestalterischen Einfluss zu nehmen.
Luzie Schröder (*2005) verfolgt das gemeinsame Geschehen kritisch und kommentiert hier in eigener Form.

Modulgalerie Kunst im Fach
Alte Gepäckschließfächer in der Lorenzer Passage wurden umgebaut und mit neuen Funktionen versehen. Insgesamt 48 Schließfächer bilden einen zusammenhängenden Raum, in dem die einzelnen Module mit jeweils einer 1-Euro – Münze entriegelt werden können. Nach Öffnung können die Besucher entscheiden, ob die Münze gespendet oder zurückerhalten werden soll. Die ausgestellten Werke sind  käuflich zu erwerben.

Modulgalerie – Kunst im Fach ist ein Projekt der Künstler Kasia Prusik-Lutz und Olaf Prusik-Lutz, das im Rahmen des Symposion Urbanum der Stadt Nürnberg 2021 entstanden ist.

 

 

Vernissage Family Business  von Pirko Schröder, Luzie Schröder, Josephine Schröder, Thomas May

Modulgalerie // Verteilergeschoss Lorenzkirche, 1. Juli 2022

Text © Andreas Radlmaier

Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, sondern offensichtlich auch das Privatleben. Nur so ist es sich zu erklären, dass es in Kunst- und Kulturkreisen so viele Verwandte und Familienangehörige gibt, die in derselben Branche tätig sind.

Und dieses Lebensmodell nicht mal als Paar-Therapie sehen, unterstelle ich mal, im Falle von Pirko Julia Schröder und Thomas May sowieso.

Aber wer weiß …?

Herzlich willkommen zur 3. Ausstellung der Modul-Galerie!

Die Arbeitssituation Künstlerin hier, Künstler da, scheint jedenfalls innerhalb der Familie Schröder-May weniger furchtbar, sondern eher fruchtbar rübergekommen zu sein. Nur so lässt sich nachvollziehen, dass auch ihre beiden Töchter – Luzie und Josephine – im Kreativbereich unterwegs sind. Das kann man je nach Weltsicht als geglücktes Erziehungsziel bezeichnen. Oder als verfehltes. Denn eigentlich, das wissen wir doch alle, geht – safety first bei der Berufswahl – nix über IT, Maschinenbau und BWL.

„Family Business“ ist diese Ausstellung denn auch korrekt überschrieben. Und so ein „Family Business“ ist kein Einzelfall. Im KulturPalast Anwanden, einen Kulturverein bei Zirndorf, den ich gegründet und 22 Jahre geleitet habe, spürten wir diesem Phänomen in einer großen Gruppenausstellung auf Gut Wolfgangshof vor einigen Jahren nach.

„Familienbande“ hieß diese Präsentation mit fast 50 Künstlerinnen und Künstlern. Ob angeheiratet oder geschieden, ob Brüder und Schwestern, Vater und Sohn, Freund und Freundin – an Auswahl herrschte kein Mangel. Auch die Initiatoren dieser Modul-Galerie, Kasia Prusik-Lutz und Olaf Prusik-Lutz, waren damals Teilnehmende im KulturPalast. Aber auch Sebastian und Jonas Tröger, Linda und Maike Männel, Anders Möhl und Claudia Schulz, Anna Bien und Winfried Baumann, um nur einige zu nennen. Und eben auch Pirko Schröder, Josephine Schröder und Thomas  May.

Nun also die Modul-Galerie. Eine Wand mit Schließfächern mit neuem Innen- und Eigenleben. Ein Projekt, das im Rahmen eines Flashbacks aufs legendäre Symposium Urbanum verwirklicht wurde.

Wenn man über das Symposium Urbanum spricht, muss man das Langzeitgedächtnis bemühen. Denn das Symposium 2.0 weist auf ein Stadt-Ereignis vor 50 Jahren.

Das Symposium Urbanum, Jüngere werden sich nicht erinnern und Ältere haben das Ereignis längst verklärt, war nämlich 1971, in dem Nürnberg im großen Stil den 500. Geburtstag von Albrecht Dürer gefeiert hat, ein über die ganze Stadt verteilter Freiluft-Parcours, der schnell und ungewollt zum Resilienz- und Stresstest in Sachen Toleranz gegenüber zeitgenössischer Kunst wurde.

Da durfte sich auch der kleine Vandale ungebremst ausleben. Solche Erfahrungswerte bzw. Verhaltensmuster gegenüber der im vergangenen Jahr eingerichteten Modul-Galerie fehlen meines Wissens. Vielleicht aus einem einfachen Grund: Die Kunst ist hier geschützt.

 

Beschäftigen wir uns also näher mit dem Schließfach. Was ist ein Schließfach?

Wikipedia definiert das folgendermaßen:

„Ein Schließfach ist ein gegen Diebstahl und gegebenenfalls andere Risiken geschützter Behälter für Wertsachen. Schließfächer befinden sich häufig in Einkaufszentren, öffentlichen Garderoben, Umkleideräumen und Schulen. Hierbei kommt es zu einer Überschneidung mit dem Begriff Spind. Bei Schließfächern an Bahnhöfen und Flughäfen, die in erster Linie zur vorübergehenden Aufbewahrung von Reisegepäck dienen, spricht man von Gepäckschließfächern.“

Auch interessant, dass die Menschen 1979, als dieses U-Bahnhof-Verteilergeschoss als Teil des Karstadt-Komplexes in Betrieb ging, offensichtlich das Bedürfnis hatten, bei einem Zwischenstopp mit der U-Bahn Gepäck oder Einkaufstüten oder beides in einem Schließfach zwischen zu lagern. Inzwischen stehen Schließfachanlagen in Drehscheiben der kollektiven Fortbewegung meinem Eindruck nach auf der roten Liste. Sie sind dort unmodern geworden, werden zumindest gerne in Randlagen und Keller abgedrängt. Was sich ja für diesen ganzen Ort hier auch ganz gut belegen lässt. Nicht umsonst wartet das Verteilergeschoss auf ein Facelifting. Doch die Schönheitskur wird – so hört man – wohl noch ein wenig auf sich warten lassen. Das verlängert andererseits das Leben dieser Modul-Galerie.

Nun also Schließfächer für die Kunst.

Womit auch ein charmanter Bezug hergestellt wurde. Denn wieviel millionenteure Werke der klassischen Moderne von van Gogh bis Monet sind auf Nimmerwiedersehen in irgendeinem Schließfach eines Millardars oder Unternehmens verschwunden?

Andererseits lässt sich feststellen, dass sich seit ein paar Jahren  Schließfächer in Kunsteinrichtungen – verwiesen sei hier etwa auf „Inside the Box“ in München – steigender Beliebtheit als Präsentations- und Entdeckungsort für Kunst erfreuen. Bedienen sie doch auf der Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Privatem die Neugier des Menschen und regen offensichtlich auch die Phantasie der Künstlerschaft an.

Dieses Einerseits-Andererseits, an einem öffentlichen Ort mittels Münzeinwurf hinter private Kulissen schauen zu können, reizte auch Pirko Schröder und Thomas May. Folglich verstanden sie die einzelnen 48 Schließfächer als Teil des Ganzen. Das Grün leuchtet aus der vorhandenen, urbanen, ja abweisenden Architektur heraus. Will mit Aufenthaltsqualität an einem Ort locken, den man normalerweise schnell hinter sich lässt oder lassen möchte.

Ein Wald-Panorama bildet den Gesamtraum, den einenden Hintergrund für die einzelnen Positionen. Im Grunde kann man die ganze Arbeit nur wahrnehmen, wenn man 48 Ein-Euro-Stücke zur Hand nimmt und alle Schließfächer aufsperrt. Oder wenn es einem gelingt, andere Menschen zu animieren, gleichzeitig auch Münzen einzuwerfen, um dann gemeinsam das Gesamtergebnis sehen zu können.

Damit haben die Schröder-Mays die vorhandene Struktur verblüffend neu gedacht und eine einfallsreiche Intervention geschaffen.

Das Künstler-Paar ist seit vielen Jahren fester Bestandteil der regionalen Kunstszene. Gerne liefere ich Ihnen aber auch noch einige Eckdaten. Pirko Schröder (Jahrgang 1970) stammt aus Fürstenfeldbruck, hat hier an der Akademie der Bildenden Künste und schon frühzeitig mit ihren Fotografien, die sie gerne in der jeweiligen Umgebung tarnt, für Aufsehen gesorgt. Diesen Camouflagen-Gedanken verfolgt sie bis heute und am liebsten im öffentlichen Raum, wo ihre Fotos und Videos, manchmal auch verbunden mit Sound, ob klein oder wandfüllend, den gewünschten Stör-Moment auslösen.

Thomas May (Jahrgang 1971) stammt aus Amberg, studierte ebenfalls in Nürnberg und steht seitdem auf Gras. Geradezu rauschhaft. In sämtlichen Variationen. Für alle Sinne. Er ist Begründer des Grashalminstituts. Mit dem war er von Skandinavien bis Japan unterwegs, auch auf der Bundesgartenschau in München. Er animierte die Menschen, Grashalme zu schnitzen, braute aus den Zutaten von Dürers Rasenstück Tee, man konnte bei ihm das Gras wachsen hören, und nach Wagner-Art den Wiesen des Wahnsinns lauschen.

Pirko und Thomas sind nicht nur autonome Künstler, sondern auch engagiert in der Szene unterwegs. Aktuell ist Thomas May Vorstand der renommierten Künstlergruppe Der Kreis, der auch Pirko Schröder angehört. Beide waren oder sind Mitglieder des legendären Atelierhauses Marienstraße, das gerade Unterschlupf in Langwasser gefunden hat.

Die Töchter Josephine und Luzie Schröder: Josephine Schröder (Jahrgang 1996) studiert in Weimar Visuelle Kommunikation und gestaltet Buchprojekte usw. Luzie Schröder (Jahrgang 2005) ist gerade in der Orientierungsphase und genießt die Position als kritische Familienkommentatorin. Hat aber auch eine Arbeit zu „Family Business“ beigesteuert.

 

FRAGENTEIL

Mal ehrlich: Mussten die Töchter mitmachen? Nach dem Prinzip: Mitgefangen, mitgehangen?

Ist das jetzt eine Familienausstellung oder eine Familienaufstellung?

Seid ihr Familienmenschen?

Was bedeutet „Family Business“, Familiengeschäft, für Euch?

Auf einem Video seid ihr – die Eltern – gemeinsam zu sehen. Ihr setzt seit ein paar Jahren vermehrt Projekte gemeinsam um, stellt auch gemeinsam aus, arbeitet inzwischen im selben Atelier. Woher kommt diese Haltung

Ist die Kunst dann Anlass für Ehestreits? Oder löst das gemeinsame Arbeiten Kreativschübe aus und setzt neue Energie frei?

Kittet Euer Beruf die Beziehung?

@Pirko: Du sagst, Dich fasziniert an dieser Situation der voyeuristische Nebeneffekt. Man befindet sich im öffentlichen Raum, öffnet ein Türchen und blickt ins Private

Nach welchen Kriterien habt ihr dann die Schließfächer bestückt?

Auf den ersten Blick könnte man meinen: Alles grün hier. Typisch Thomas May. Aber das ist zu kurz gesprungen, oder?

Das Grundmotiv, das sich über alle Schließfächer aber auch die Außenflächen zieht, ist ein grünes Dickicht. Was auch gut zum Schließfach-Prinzip passt. Ein Dickicht ist – wenn man so will – ein botanisches Schließfach. War das die Idee – oder gehe ich da völlig in die Irre?

 

Noch drei Hinweise:

1. Die Kunstwerke sind käuflich zu erwerben
2.Die Modulgalerie beteiligt sich mit dieser Ausstellung an den Stadt(ver)führungen vom 16. bis 18. September. Die Stadt(ver)führungen tragen den Titel: „Verwandlungen“. Da passt diese Metamorphose bestens.
3. Die Ausstellung ist eröffnet.

TEILNEHMENDE KÜNSTLER:

Foto: @Pirko Julia Schröder

Foto: @Pirko Julia Schröder

Foto: @Kasia Prusik-Lutz

Foto: @Kasia Prusik-Lutz